Denn es will Abend werden…

...und auf einmal hatte ich ein Mikrofon vor der Nase.

Liebe Gemeinde,

wer auf Reisen geht hat viel zu erzählen. So auch der Pfarrer der kleinen "Landgemeinde" in Vallendar. Ein Urlaub in einem warmen Sommer bietet da schon mal viel. Und als Freund der Berge hat es mich diesmal ins Allgäu verschlagen.

Einer der schönsten Momente hatte mit Psalm 121 zu tun. Da stand ich auf einem einigermaßen hohen Berg, schaute in die Ferne und dachte an die Worte aus dem Psalm: "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?" Oft mit anderen und für andere gebetet, wurde er für mich zu meinem ganz persönlichen Wort. Im Urlaub, mitten auf dem Hochgrat.

Und es war eine sehr überwältigende und berührende Kulisse. Auch wenn der Berg, der Hochgrat, nur ca. 1800 Meter hoch ist, bietet er doch einen faszinierenden Weitblick. Vom Karwendel über die Zugspitze hin zum Säntis in der Schweiz. Und als Abschluss der Bodensee.
Und der war von der untergehenden Sonne in ein sattes Gold getaucht. Eine Bilderbuchkulisse. Auch für den Berggottesdienst, den ich an diesem Abend dort erleben durfte.
Ganz privat, ohne Arbeit. Einfach nur für mich. Mit einer sympathischen Kollegin der Urlaubsseelsorge aus Oberstaufen, einem Chor aus der Umgebung und bummelig 100 anderen MitchristInnen.
Menschen, die zuhören, Lieder, die berühren, Worte, die nachdenklich machen, eine Umgebung die das Herz erreicht.
In der sichtbaren Weite der Schöpfung, klein, aber geborgen, abgetaucht in das Gefühl, mit denen verbunden zu sein, die seit ein paar tausend Jahren immer wieder den Psalm 121 auf den Lippen hatten. Mit seiner Frage, aber auch seiner Erkenntnis im weiteren Verlauf "Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat."

Ein Lied kam dazu in meinen Sinn: "Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget." (Im Gesangbuch die Nummer 483). Ein Kanon. Mit vielen gleichzeitig, doch vielstimmig gesungen. Alle sind woanders, aber alles passt zusammen.
Und auch als die halbe Stunde der Andacht vorbei war, saß ich da, schaute, hörte, und schaute.

Und plötzlich hatte ich ein Mikrofon vor der Nase.

Denn auch der Bayrische Rundfunk war mit einem Kamerateam gekommen und sammelte sogenannte "O-Töne". Also Kommentare der Menschen, die eben den Abend mit dem Gottesdienst eingeläutet hatten.
Ich gebe zu, die Frage des Reporters hat mich etwas kalt erwischt: "Fühlen Sie sich Gott hier oben näher?". Ich war ganz nah bei mir, ich war ganz nah und fern in dieser besonderen Umgebung. Aber Gott näher? Das hieße ja, woanders Gott ferner zu sein.
Also stottere ich etwas in das Mikrofon, unsicher was genau ich sagen soll. "Hier spürt man einfach wie groß und schön die Welt ist. Und ich darf Teil dieser Welt sein. Das ist total schön." Das war dann alles, was mir spontan eingefallen ist.

Das "Mikrofon" bedankte sich und das Fernsehteam ging seines Weges.

Und ich stand da, und fragte mich, was ich da eigentlich gerade gesagt habe. Über eine "große und schöne" Welt. Und von mir als Teil davon. Ist das wirklich so schön? Hier oben, ja. Im Urlaub, ja. Aber sonst? Spätestens bei der Tagesschau hört es ja mit der Schönheit der Welt auf.
Bei diesem Gedanken ist es mit der Erholung und der Weitsicht ganz schnell vorbei.
Und die Frage aus dem Psalm wird ernsthafter: "Woher kommt mir Hilfe?" Und die Antwort im Psalm wird zur Herausforderung: Kommt meine Hilfe wirklich vom Herrn? Wie sieht Gottes Hilfe aus? Wie kann ich sie erfahren?

Ich kann das nicht leicht und auch nicht einfach beantworten. Es bleibt seltsam, unfassbar, schwer in Worte zu fassen.
Unfassbar beschreibt es vielleicht am besten. Ja, ich erfahre Gottes Hilfe, aber immer wieder so, dass ich sie nicht fassen, nicht festhalten kann. Obwohl sie da ist und spürbar. Am besten spricht man hier wohl von einer spirituellen Erfahrung. Gottes Geist - der Spiritus - tröstet und gibt Kraft, Energie und Kreativität.
Das lässt sich nicht einpacken, immer verfügbar machen. Auch macht Gott nicht einfach das gewünschte oder verhindert etwas.

Aber er unterstützt uns dabei es selber zu tun, oder damit umzugehen, wenn wir hilflos sind.
Darauf vertraue ich. Und um dieses Vertrauen immer wieder spüren, bestärken, auffüllen zu können, braucht es eben auch Pausen. Ohne Tagesschau, Arbeit und allem was uns in Beschlag nimmt. Das kann der Urlaub sein oder einfach ein Sonntag ohne Erlebniszwang.

Sondern mit Zeit für Weitblick, sich berühren lassen, Gedanken vorbeiziehen lassen, nichts tun, vieles spüren.
Ich wünsche Ihnen und Euch genug schöne und berührende Momente der Spürbarkeit von Gottes Kraft. Denn es gibt genug zu tun in unserer Welt und unserem Leben.

Ihr/Euer Pfarrer Gerd Götz

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